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Titel
A Political Economy of Power. Ordoliberalism in Context, 1932–1950


Autor(en)
Fèvre, Raphaël
Reihe
Oxford Studies in the History of Economics
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
£ 64.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, Bundeskartellamt, Bonn

Gegenstand des zu besprechenden Buchs ist der Ordoliberalismus als interdisziplinäres „Forschungsprojekt“, das bekanntlich in den 1930er-Jahren an der Universität Freiburg von dem Ökonomen Walter Eucken und den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth begründet wurde (auch als Freiburger Schule bezeichnet). Weitere wichtige Beiträge stammen von den Ökonomen Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow. Insbesondere in der Nachkriegszeit entfaltete der Ordoliberalismus großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik in Westdeutschland und gilt als (eine) konzeptionelle Basis der Sozialen Marktwirtschaft. Außerhalb Deutschlands fand er dagegen lange Zeit nur wenig Resonanz in der Wissenschaft und der Wirtschaftspolitik. Auf durchaus etwas überraschende Weise ist in den letzten Jahren gerade international ein breit(er)es Interesses am historischen Ordoliberalismus erwacht, das eine stetig wachsende, interdisziplinäre – und teilweise sehr kritische – Sekundärliteratur hat entstehen lassen.1 Im Mittelpunkt steht dabei oft die Frage nach den Gründen für den anhaltenden Einfluss auf die (deutsche) Wirtschaftspoliitk. Daneben gibt es aktuelle Ansätze hierzulande, das alte ordoliberale Forschungsprogramm inhaltlich weiterzuentwickeln und es in der Ökonomik international anschlussfähig(er) zu machen.2

In diesem durchaus dynamischen Kontext ist das vorliegende dogmengeschichtliche Werk zu sehen, das hauptsächlich auf der 2017 abgeschlossenen Dissertation von Raphaël Fèvre an der Université de Lausanne basiert. Fèvre will darin die Entstehung des Ordoliberalismus einschließlich des intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen Kontexts nachzeichnen. Wie der Titel seines Buches weiter zeigt, ist sein Fokus auf die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg gerichtet. Die Darstellung erfolgt in fünf Kapiteln. Im ersten Kapitel legt Fèvre die “historical diagnosis” der Ordoliberalen (S. 23) in der Zwischenkriegszeit als Ausgangspunkt ihrer Forschungen dar. Im zweiten Kapitel geht es um die methodologischen Grundlagen und hier insbesondere die von Walter Eucken in seinen Grundlagen der Nationalökonomie (1940) entwickelte morphologische Analyse, die wiederum als theoretische Grundlage auch im Mittelpunkt des dritten und mit Abstand längsten Kapitels steht.

Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen legt Fèvre im vierten Kapitel dar und nimmt v.a. Bezug auf die in Euckens Grundsätzen der Wirtschaftspolitik (1952) entworfene “Wettbewerbsordnung”. Kennzeichnend dafür ist die Beschränkung des Staates auf das Setzen der Regeln für die Wirtschaft (“Wirtschaftsordnung”), um individuelle Freiheit und wettbewerbliche Prozesse zu ermöglichen. Das fünfte Kapitel ist schließlich dem großen Einfluss auf die westdeutsche Wirtschaftspolitik in der Nachkriegszeit gewidmet. Gemäß Fèvre beruht er insbesondere auf dem gelungenen Nachweis durch die Ordoliberalen, dass es eine Fortsetzung der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik bedeutet hätte, wenn weiter auf Planung und Preiskontrollen gesetzt worden wäre, wie etwa die SPD und die Alliierten anstrebten („continuity thesis“ S. 188). Als Alternative favorisierten sie eine marktwirtschaftliche Lösung mit freier Preisbildung, wie sie letztlich auf Betreiben insbesondere von Ludwig Erhard ab dem Jahr 1948 umgesetzt wurde.

Über die einzelnen Kapitel hinweg zeichnet sich das Werk von Fèvre durch folgende drei eng miteinander verknüpfte Aspekte aus:
(1) Fèvre stellt den Ordoliberalismus als kohärentes Gedankengebäude dar und betont die grundlegende Übereinstimmung: „Yet over and above the particular characteristics that distinguish each and every single author, ordoliberalism was perceived by its exponents as a coherent doctrine and was generally received as such. Therefore, rather than trying to establish distinctions, in this book we have tried to reconstruct the set of ideas, problems, and solution emerging from what remained basically a shared project“ (S. 214–215).
(2) Als konstitutiv erachtet er dabei die Auseinandersetzung mit dem Problem der Macht: „I argue that the ordoliberals have built all the compartments of their political economy on the cornerstone of power issues and that this effort is precisely what makes the identity, unity, and originality of the old ordoliberal thinking. […] Therefore, ordoliberalism is defined as a political economy of power because each of its elements – whether doctrinal, epistemological, theoretical, or political – confronts the notion of power“ (S. 19).
(3) Die Begrenzung von Macht – und zwar sowohl privater Macht z. B. durch Kartelle als auch staatlicher Macht durch zunehmende Eingriffe in die Wirtschaft – steht für Fèvre im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Empfehlungen: „Rather than growth, security, or justice, the ordoliberals aimed at the disappearance of illegitimate economic power as a flagship objective of economic policy“ (S. 184).

Aus Sicht des Rezensenten offenbart das zu besprechende Buch sowohl Stärken als auch Schwächen. Überzeugend ist zunächst der umfassende Ansatz von Fèvre, den Ordoliberalismus als „project“ zu begreifen, das über die Grenzen der Ökonomie (weit) hinausgeht und sich auch nicht auf die bloße theoretische Analyse beschränkt, sondern weitreichende praktische Gestaltungsvorschläge macht. Ebenso sehr zu begrüßen ist, dass er sich nicht auf eine rein ideengeschichtliche Analyse beschränkt, sondern auch die reale Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick nimmt. Positiv hervorzuheben ist auch die durchweg gut nachvollziehbare Darstellungsweise. Als nützlich erscheinen schließlich das Literaturverzeichnis und vor allem der sorgsam erstellte Index, in dem sowohl die zentralen Sachbegriffe als auch Personen verzeichnet sind.

Weniger überzeugend ist dagegen die übermäßige Betonung der Gemeinsamkeit der Ordoliberalen und die Verengung ihrer Forschungen auf die Auseinandersetzung mit dem Thema Macht. Auch wenn zweifellos viele Gemeinsamkeiten existieren und deren Identifikation hilfreich ist, schießt Fèvre hier über das Ziel hinaus. Er verstellt sich und seinen Leser:innen damit den Blick auf relevante Unterschiede und vereinfacht die historischen Zusammenhänge über Gebühr. Dazu trägt bei, dass er den Werken von Walter Eucken zu viel Gewicht beimisst. Er begründet das selbst wie folgt: „This book gives a place of pride to the analysis of Walter Eucken’s work, as his contributions played a central role in works by other ordoliberals and in the constitution of the ordoliberal political economy as a whole“ (S. 12). Es bleibt gleichwohl unbefriedigend, dass Fèvre neben Eucken lediglich Wilhelm Röpke in größerem Umfang in den Blick nimmt, während die Arbeiten von Franz Böhm, Hans Großmann-Doerth, K. Paul Hensel, Friedrich A. Lutz, Leonhard Miksch, Alexander Rüstow und Fritz W. Meyer (und anderen) deutlich weniger Beachtung finden. Dies will nicht so recht passen zum bereits zitierten Anspruch, „the set of ideas, problems, and solution emerging from what remained basically a shared project“ zu rekonstruieren (S. 214 f.). Darüber hinaus wäre es wünschenswert gewesen, dass Fèvre mehr Belege für die weitgehende Übereinstimmung zwischen den Ordoliberalen geliefert hätte, z.B. in Form von Querverweisen in ihren Werken oder durch andere Quellen wie Briefe oder Berichte über Konferenzen und dergleichen. Hiermit hätte er auch stärker den eigenen Beitrag zur aktuellen Forschung zum Ordoliberalismus konturieren können.

Am Ende fällt das Fazit somit gemischt aus. Auf der einen Seite bietet das Buch eine breit angelegte und sorgfältig komponierte Darstellung der Entstehung des Ordoliberalismus, die sich in die wachsende internationale Literatur einreiht. Auf der anderen Seite weist es die oben dargelegten Schwächen auf. Insgesamt verbleibt nach der Lektüre der (nur) gut 200 Seiten der Eindruck, dass Fèvre seinem eigenen Anspruch einer umfassenden dogmengeschichtlichen Analyse der Entstehung des Ordoliberalismus als eines gemeinsamen Projekts nur teilweise gerecht wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Thorsten Beck / Hans-Helmut Kotz, Ordoliberalism. A German oddity?, London 2017; Thomas Biebricher, The Political Theory of Neoliberalism, Stanford 2019; Werner Bonefeld, The Strong State and the Free Economy, London 2017; Patricia Commun, Les Ordolibéraux. Histoire d’un libéralisme à l’allemande, Paris 2016; Patricia Commun / Stefan Kolev (Hrsg.), Wilhelm Röpke (1899–1966). A Liberal Political Economist and Conservative Social Philosopher, Cham 2018; Kenneth Dyson, Conservative Liberalism, Ordo-liberalism, and the State, Oxford 2021; Josef Hien / Christian Joerges (Hrsg.), Ordoliberalism, Law and the Rule of Economics, Oxford 2017; Ola Innset, Reinventing Liberalism. The Politics, Philosophy and Economics of Early Neoliberalism (1920–1947), Cham 2020; Walter Otto Ötsch / Stephan Pühringer / Karin Hirte, Netzwerke des Marktes. Ordoliberalismus als Politische Ökonomie, Wiesbaden, 2018; Hugues Rabault, L'Ordolibéralisme, aux origines de l'École de Fribourg-En-Brisgau, Paris 2016; Jakob Friedrich Scherer, Das Verhältnis von Staat und Ökonomie. Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols, Berlin 2018; Viktor J. Vanberg, Walter Euckens Weg zum Ordoliberalismus, Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik 2020/3.
2 Vgl. u.a. Malte Dold / Tim Krieger (Hrsg.), Ordoliberalism and European Economic Policy – Between Realpolitik and Economic Utopia, London 2020; Malte Dold / Tim Krieger, The ideological use and abuse of Freiburg’s ordoliberalism, Public Choice (2021); Roland Fritz / Nils Goldschmidt / Matthias Störring, Contextual liberalism. The ordoliberal approach to private vices and public benefits, Public Choice (2021); Viktor J. Vanberg, Ordoliberalism, Ordnungspolitik, and the Reason of Rules, in: European Review of International Studies 2 (2015), S. 27–36; Joachim Zweynert / Stefan Kolev / Nils Goldschmidt (Hrsg.), Neue Ordnungsökonomik, Tübingen 2016.

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